Eindrücke
und Ergebnisse der 9. Ideen- & Planungswerkstatt
Unter dem
Motto Stufen, Kanten, Stolperfallen hatte MARTINIerLEBEN am 1.
April zu einer Ideen- & Planungswerkstatt eingeladen, bei der die barrierefreie
Teilhabe für alle Menschen im Fokus stand.
Neben einer
Podiumsdiskussion mit Fachleuten aus Politik und Verbänden, wurden in diesem
Zusammenhang die Erfolge der AG barrierefrei und der Stadtteilführer Eppendorf
hürdenlos vorgestellt.
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Klaus Kolb |
Elisabeth Kammer von MARTINIerLEBEN gab anschließend einen Rückblick
auf acht Jahre „AG Barrierefrei“. Sie
erinnerte an eine ganze Reihe erfolgreich umgesetzter Maßnahmen:
- den für Rollstuhlfahrende abgesenkten Briefkasten
- die Umgestaltung des Platzes Ecke Schede- und Frickestraße – mit zwei seniorengerechten Bänken „Louise“
- den Austausch von Rhein- und Kopfsteinpflaster in ebene Gehwegplatten bei 13 Einfahrten
- Schaffung eines Fahrradweges durch die Asphaltierung der Sackgasse Frickestraße zwischen Breitenfelder- und Martini-Straße
Um die Verbesserungen zu erreichen,
mussten oft viele Telefonate und Gespräche geführt werden. Auch Besuche und
Eingaben beim Regionalausschuss gehörten dazu. Was dazu führte, dass 2011 das
Gebiet um das ehemaligen Krankenhaus Bethanien („Dreieck“ zwischen der Fricke-,
Schede-, Tarpenbek- und Martinistraße) vom Regionalausschuss als Musterquartier
ausgezeichnet wurde.
Der druckfrische Stadtteilplan ist da! |
Daraufhin stellten Pastor Uli Thomas
von St. Martinus und die Projektleiterin Elisabeth Kammer den gemeinsam
erarbeiteten Barrierefreien
Stadteilführer „Eppendorf hürdenlos“
dem Publikum vor. Damit geht ein generationsübergreifendes Projekt nach gut
einem Jahr zu Ende, an dem sowohl (ehemalige) Konfirmand*innen von St. Martinus
als auch Rollstuhlfahrer*innen aus der Nachbarschaft (u.a. Zinnendorf Stiftung)
mitgewirkt hatten. Rund 160 Anlaufadressen sind in dem großen Faltblatt gleich
doppelt erfasst: als farbige Punkte auf einer Straßenkarte sowie als Eintrag im
Text. Dabei wurden sowohl die Kontaktdaten der Geschäfte und Einrichtungen als
auch Faktoren wie Fahrstuhl oder Rolli-Toilette dokumentiert. „Es war ein
pädagogischer Selbstversuch“, erklärte Pastor Uli Thomas. Denn gesunde
Jugendliche übten sich nicht nur als Rollstuhlfahrende, sie erlebten auch, wie
sie an 2 cm hohen Kanten, an kurzen Ampelphasen, an Stufen vor Hauseingängen scheiterten.
Uli Thomas: „Das war für alle Beteiligten eine interessante Erfahrung.“ Nach
der Erfassung der Daten verbrachten die Projektleiterin und die Grafikerin Anja
Escherich viele Stunden damit, die Daten aufzuarbeiten und zu Papier zu
bringen.
Die Arbeit
von MARTINIerLEBEN ist sicher beispielhaft auch für andere Stadtteile. Denn das
Thema Barrierefreiheit ist noch lange nicht erledigt. Zugeparkte Wege, zu kurze
Ampelschaltungen oder erschwerende Stufen und Treppen – Handlungsbedarf besteht an vielen Stellen.
Auch in Eppendorf, zum Beispiel:
- die DHL-Station in der Eppendorfer Landstraße ist nur über eine Stufe erreichbar
- den Fußweg in der Frickestraße verbreitern durch halbachsiges Parken
- die Ampelschaltung Schottmüller-/Breitenfelder Straße – Autos blockieren den Fußgängerweg, wenn diese auf Grün wechselt
- das Holthusen-Bad ist nur über zehn Stufen erreichbar
So berichtete Sina Imhof (Vorsitzende des Regionalausschusses DIE GRÜNEN in Eppendorf/Winterhude)
von ihren Erfahrungen, sich mit dem Kinderwagen im Hauptbahnhof zurecht zu
finden, trotz Nutzung mehrere Fahrstühle. Frau Imhof berichtet außerdem von der
Aggression, die ihr teilweise entgegenschlägt, wenn sie Falschparker auf
Behindertenparkplätzen auf ihr Fehlverhalten anspricht. Sina Imhof wünscht
sich, dass in der Politik die Belange der Behinderten grundsätzlich
berücksichtigt werden. Erfolge der letzten Jahre sieht sie z.B. in der
Absenkung der Bürgersteige. „Teilhabe ist keine Gnade und von dem Wohlwollen anderer abhängig, sondern
ein Menschenrecht“, betont die Juristin.
Johannes Köhn (Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft
für behinderte Menschen – LAG) freut sich, dass er und seine Mitstreiter*innen
bei der Hochbahn Erfolge erzielen konnten: seit 2011 werden alle Haltepunkte nach
und nach barrierefrei ausgebaut. In fünf Jahren sollen alle Stationen einen
Fahrstuhl haben. Er
betont, dass nur 5% der Menschen mit Einschränkungen mit einer Behinderung
geboren werden. 95% werden erst im Laufe ihres Lebens beeinträchtigt. Er weiß,
dass Inklusion nicht umsonst zu haben ist, aber wenn die Barrierefreiheit
einmal eingeführt würde, profitierten alle davon. Johannes Köhn hofft, dass in den Köpfen von
Planer*innen etwas passiert. Sie sollten nicht erst ein Haus bauen und dann
Barrierefreiheit aufsatteln. „Inklusives Design“ ist die Zauberformel.
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Ingrid Körner (Senatskoordinatorin für die Gleichstellung
behinderter Menschen) stört es, dass selbst bei Umbauten öffentlicher Gebäude
Barrierefreiheit häufig eine untergeordnete Rolle spielt. Es wird zwar mehr für die
Barrierefreiheit getan als früher, doch fällt es insbesondere Planer*innen und
Architekt*innen schwer, die Belange der Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen
in ihre Entwürfe einzubeziehen. „Die
Haltung ist oft eine starke Barriere“, betont Körner. „Doch leider wird sie
nicht so schnell verändert, wenn kein Druck da ist.“
Noch ist es so, dass private Träger*innen beim (Um-)Bau eines Hauses nicht an
Auflagen bezüglich Barrierefreiheit gebunden sind. Außerdem wäre ihr wichtig,
dass Behörden in Zukunft statt einem unverständlichen Amtsdeutsch eine einfache Sprache benutzen, damit alle
Adressat*innen die Botschaft besser verstehen.
Frau Körner war von dem
Stadtteilführer und davon, was MARTINIerLEBEN in Bezug auf Barrierefreiheit für
dieses Quartier bereits getan hat, so sehr begeistert, dass sie den Verein für
die Auszeichnung „Wegbereiter der Inklusion“ vorschlagen möchte.
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... barrierefrei? Da ist noch Luft nach oben! |
Heike Wandke,
Rollstuhlfahrerin aus Eppendorf und aktives Mitglied bei MARTINIerLEBEN, appelliert
an alle, sich einzumischen, wenn Autos fälschlicherweise den
Behindertenparkplatz blockieren. Auch möchte sie nicht jedes Mal als Bittstellerin
erscheinen und schiefe Blicke ernten, wenn sie in den Bus einsteigen möchte. Selbst
bei dieser Veranstaltung, wo es doch um Barrierefreiheit geht, kann sie die Stufen
zum Podium nicht ohne Hilfe überwinden, weil keine Rampe angebracht wurde.
Heike Wandke freut sich, wenn ihr im Alltag Hilfe angeboten wird. Sie hofft
jedoch, dass die hilfsbereiten Mitbürger*innen sich nicht vor den Kopf gestoßen
fühlen, wenn sie im Einzelfall dankend ablehnt. Ihr Wunsch wäre es, nicht mehr
nachdenken zu müssen, bevor sie etwas unternehmen möchte, sondern einfach losgehen
oder losrollen zu können, ohne erst recherchieren zu müssen, ob etwas
barrierefrei zugänglich ist. Denn das gehört zu einem selbstbestimmten Leben
dazu.
Zum Schluss
wurden Anmerkungen oder Anregungen aus dem Publikum aufgenommen und diskutiert.
Eine Teilnehmende meinte, dass auch dieses Mal bei der Barrierefreiheit nur
Mobilitätseingeschränkte gemeint wären und Menschen mit kognitiven
Einschränkungen, die akustische oder visuelle Hilfestellungen bräuchten, nicht
berücksichtigt wären. Andere Anregungen waren:
- Behindertentoiletten – sie sind für Rollstuhlfahrende oft viel zu eng
- Der Fahrstuhl am Marie-Jonas-Platz sollte für Behinderte nutzbar sein, um auf den Gehweg zu kommen
- Eine öffentliche Toilette für den Eppendorfer Park
- Längere Ampelschaltungen
- Türen im Kundenzentrum Hamburg-Nord öffnen sich nicht mehr automatisch: Knöpfe sind da, funktionieren aber nicht
- Der große Saal des Bezirksamtes hat jetzt auch eine Induktionsanlage (für Hörgeschädigte), ohne dass das bisher kommuniziert wurde
Letztendlich sei es eine Frage des
Menschenbildes, meinte eine Besucherin, ob ich es normal finde, verschieden zu
sein oder nicht. Alle
Teilnehmenden waren sich einig, dass Hamburg eine barrierefreie Stadt werden
soll. Doch bis es soweit ist, muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet
werden, denn Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen.
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